Dienstag, 1. Dezember 2015
06 Der große Literat
„Wir fahren in die Hölle“, lautet mein neuestes Manuscript. Jetzt liegt es im Verlag, mein 24. Angebot . Ich hoffe, dass es endlich angenommen wird und zur Feier kaufe ich eine Flasche Southern Comfort. Seit Jahren schon sagen sie (wer immer das auch sein mag), dass ich kein Talent habe. Aber ich gebe nicht auf. Bei Lesungen sind meine Texte immer gut angekommen, warum also nicht irgendwann der große Wurf auf dem Büchermarkt...

Zwei Tage später wieder einmal eine Absage: Mein Werk zurück mit ein paar knappen Sätzen abgelehnt. Ich sortiere die Absage in den Ordner „Mein gestriges Leben“. Gestern ist meist alles schlechter, bis auf die wenigen Erfolge. Sabine und ich, 2 Wochen – und dann nur noch Sabine ohne mich, allerdings weniger als 2 Wochen. Ich weiß nicht, wohin sie verschwand, aber niemand hat sie seitdem wieder gesehen. Sie hätte nicht mit mir Schluss machen sollen. Schlechtes Karma, das hat sie nun davon.

Und die anderen Erfolge: Ein mittelmäßiges Abitur; mein Vater starb, obwohl er mich nie mochte und meine Mutter bekannte sich zum Kokain, nachdem ich das weiße Pulver unter ihrer Nase sah. Außerdem sagte sie: „Ich bin nicht Deine leibliche Mutter, darum wäre es nicht schlimm, wenn Du in mich verliebt wärest.“ Nackt stand sie vor mir und unterstrich ihren Satz mit Hilfe ihrer Hände an den herunterhängenden Brüsten. Vaters Beerdigung war dann auch kein so großer Erfolg und ich ging getrennt meinen Weg ohne Eltern weiter.

Burkhard sagte, dass ich eine großartige Zukunft hätte, sie stünde in meinen Texten. Leider ist das schon zwanzig Jahre her und die Zukunft wollte einfach keine Verwirklichung. All diese Künstler auf den Lesungen wurden immer jünger und irgendwann kannte ich nur noch ein paar Leute, die immer zu Lesungen kommen. Mein Leben ist selbst nur noch ein Text, worin ich kaum vorkomme.
Ich schreibe, esse und schlafe, also kacke ich und bringe etwas hervor. Dazwischen träume ich den kurzen Traum eines Lottospielers, der zwischen Sonntag und Mittwoch ein möglicher Millionär ist, bis er am Donnerstag wieder spielt. Unsterblich will ich sein - und das zu Lebzeiten. Ich will den Jubel der Massen wie Hitler, aber ohne frühzeitigen Selbstmord. Sie laufen mir überall hinterher und wollen ein Autogramm. Dann werde ich nie wieder schreiben können und hätte Mühe, das Geld aus zu geben.

Dann kommt Sabine zurück und sagt, sie heißt eigentlich Eva und hat sich einer Schönheitsoperation unterzogen. „Es hat solange gedauert, darum konnte ich erst jetzt zurück kommen, verzeih mir.“
„Du siehst verändert aus, im positiven Sinne. Deine Stirnfalten sind weg. Aber die brauchtest Du nicht weg operieren zu lassen, ich bin jetzt ein erfolgreicher Autor.“ sage ich.
„Darum bin ich aber nicht zurück gekommen, mein Leben ohne dich war die Hölle. Ich liebte deine Texte doch schon immer auf meine Weise.“

Ja das stimmt, lächele ich. Sie hat immer die Stirn gerunzelt und gelacht. Als sie dann Schluss gemacht hatte, sagte Jan: „Das ist wirklich sehr schade, aber mach dir nichts draus, du hast was Besseres verdient.“ In der Schule wollten nicht nur alle Mädchen was von mir. Dadurch, dass ich so gut aussah, strahlte ich ein positives Image aus. Meine Zukunft sah ich als Proforma an, sie brauchte nur noch gelebt zu werden so wie eine Wohnung nach dem Mietvertrag.

Schade, dass es keinen Teufel gibt. Ihm hätte ich meine Seele verkauft, aber die ist ohne einen Gott sowieso nichts wert. Da kann ich besser an meine zukünftigen Texte glauben als an die Frau von gestern, die mein Coming-Out verhindert hat, weil nur die Schwulen sie aus dem Bett gestoßen hätten. Seitdem wusste ich definitiv, dass ich normal bin. Der Normale mit der Zivilisationskrankheit: Zuviel Geld, zuviel Zeit, zuviel Sinn.

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